Wie demokratisch ist Afghanistan mehr als 16 Jahre nach der US-geführten Intervention infolge von 09/11? Dieser Frage widmete sich Haqmal Daudzai, in seinem Vortrag "The struggling Democracy in Afghan Localties", den er am 25. Januar 2018 bei der Frankfurter Fachgruppe für außen- und sicherheitspolitische Themen (FAUST) hielt.
„Die Qualität der Demokratie in Afghanistan variiert zwischen der nationalen Ebene und den Provinzen“, befand Daudzai, der an Willy Brandt School of Public Policy in Erfurt promoviert und zur friedensstiftenden Wirkung des demokratischen Systems in Afghanistan forscht. „Während auf der nationalen Ebene bereits drei Präsidentschaftswahlen sowie friedliche Machtwechsel stattgefunden haben, verharren zahlreiche Provinzgouverneure mit eigenen Privatarmeen noch immer seit 2001 im Amt.“ Das demokratische System werde auf diese Weise von Warlords, die über demokratisch gewählte Ämter verfügen, gewissermaßen unterminiert. In der Feldforschung für seine Dissertation hatte Daudzai die sechs größten afghanischen Provinzen bereist und dort Gespräche mit Amtsträgern und Machteliten geführt, um deren Perzeption des Demokratisierungsprozesses in Erfahrung zu bringen.
Sein Fazit dabei: Insbesondere Wahlen sind inzwischen ein sehr anerkanntes Instrument der Demokratie und tragen durchaus zum politischen Wettbewerb bei. Probleme bestünden jedoch im Bereich der Redefreiheit oder der Möglichkeit, offen Kritik an der Regierung zu äußern. Vom Ideal einer westlichen liberalen Demokratie sei man also noch entfernt: „Die Menschen in Afghanistan haben überhaupt kein Problem mit der Demokratie, aber bisher versteht jeder etwas anderes unter dem Konzept.“
Auch auf der Ebene des politischen Systems sieht Daudzai Defizite. So habe die US-Intervention 2001 zwar die Demokratie ins Land gebracht, jedoch mit einem hohen Grad an Zentralisierung zu Gunsten der Regierung in Kabul. Diese Struktur steht vor allem seitens der nicht-paschtunischen Bevölkerung in der Kritik, welche sich mehr föderale Elemente wünsche. Auch Daudzai sieht einen positiven Zusammenhang zwischen der Dezentralisierung des Systems und einer Steigerung der Demokratiequalität auf lokaler Ebene: „Ein kompletter Föderalismus würde zwar Chaos bringen und das Land fragmentieren. Mehr Kompetenzen für die Provinzebene bei stärkeren checks und balances sowie stärkeren Verwaltungsstrukturen könnten jedoch die Demokratie stärken“, folgerte der Referent.
In der Diskussion im Anschluss an den Vortrag thematisierten die anwesenden Teilnehmer insbesondere den Aspekt der Legitimität der Provinzgouverneure: „Wie kann man überhaupt Warlords wählen lassen?“ „Indem man die Realität anerkennt“, antwortete Daudzai, der anfügte: „nach 40 Jahren unterschiedlicher Kriege hat hier jeder Blut an den Händen.“ Dies könne auch eine demokratische Verfassung nicht einfach beseitigen.
Daudzai zog aber auch positive Schlüsse aus dem afghanischen Demokratisierungsprozess: „Man sieht, dass sich eine demokratische Kultur entwickelt.“ So umfassten neugegründete lokale Räte mittlerweile auch Frauen. „Selbst die Warlords haben mir in meinen Interviews gesagt, dass die Demokratie für sie eine Realität geworden sei und sie mehr und mehr die Ansprüche und Wünsche der Bevölkerung ernst nehmen müssen, um in offizielle Ämter wiedergewählt zu werden.“ So sei es insgesamt offen wohin genau sich das politische System Afghanistans in der Zukunft entwickele. Daudzai resümierte für sich: „„Afghanistan wird nicht in den Autoritarismus zurückfallen!“